Interplast Hilfsprojekt in Paraguay- Ciudad del Presidente el Franco
03.04.-12.04.2010

Teammitglieder:

  • Dr. Barbara del Frari, FÄ für Plastische Chirurgie, Innsbruck
  • Dr. Annett Kleinschmidt, FÄ für Chirurgie, FÄ für Plastische Chirurgie, Berlin
  • Dr. Roberto Spierer, FA für Plastische Chirurgie, Berlin
  • Prof. Dr. Jörg Weimann, FA für Anästhesie und Intensivmedizin, Berlin
  • Stuart, Anästhesiepfleger, Amsterdam
  • Doris Ludwig, OP- Schwester, Berlin
  • Birgit Grimm, Physiotherapeutin, München
  • Sabine Breitschwerdt, Projektmanagerin (mitgereist auf eigene Kosten), Berlin
  • Dr. Horst Schuster, FA für Plastische Chirurgie (Projektvorbereitung und Kommunikation), Köln

Paraguay als einer der beiden Binnenstaaten Südamerikas, grenzt im Osten an Brasilien, im Süden und Westen an Argentinien und im Norden und Westen an Bolivien. Der Name des Landes beinhaltet „Wasser, das zum Wasser fließt“, abgeleitet von der Sprache der Ureinwohner, Guaraní: pará („Ozean“), gua („zu“) und y („Wasser“). Die Hauptstadt, politisches und wirtschaftliches Handelszentrum ist Asunción. Historisch gesehen war Paraguay der reichste Staat Südamerikas, dessen Armut aus heutiger Sicht durch die Folgen des Tripelallianzkrieges von 1864 bis 1870 gegen Argentinien, Uruguay und Brasilien begründet ist.

 

Aufgrund eines sicheren Netzwerkes in Südamerika und profunder Kenntnisse anderer Interplast Einsätze wollten wir zur Sicherstellung eines erfolgreichen Interplastneueinsatzes Turbulenzen und Missverständnisse ausschließen. Aus diesem Grund begaben wir uns zur Evaluation der Rahmenbedingungen im Zuge einer privaten Urlaubsreise 2009, 14 Monate vor Projektbeginn, für 5 Tage nach Asunción. Dort konnten wir uns vor Ort persönlich in Gesprächen mit den amtierenden Ministern von den erfolgsversprechenden Umsetzungsmöglichkeiten unserer Projekt idee im Rahmen der sozialen Gesundheitsreform Paraguays überzeugen. In den persönlichen Gesprächen ließen sich die Zielstellungen eines derartigen Projektes von paraguayanischen Kollegen und uns in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium hervorragend herausarbeiten und zu einem Konsens aller Beteiligten gelangen. Bei einem offiziellen Treffen im Mai 2009 im paraguayanischen Gesundheitsministerium wurde das Ziel unserer Mission erörtet: Soforthilfe durch plastisch- chirurgische Operationen bei nicht- krankenversicherten paraguayanischen Patienten mit Brandverletzungen, angeborenen Fehlbildungen sowie erworbenen Defekten, vor allem aus der indigenen Bevölkerung aus den Tribes der paraguayanischen Regenwaldregionen. Zweites besprochenes Ziel war die Ausbildung eines, an unserem Projekt teilnehmenden paraguayanischen Assistenzarztes, der die adäquate Nachsorge unserer Patienten übernehmen und kleine Folgeoperationen bei neuen Patienten durchführen sollte.

 

Die darauffolgenden 11 Monate waren geprägt von südamerikanischer Gelassenheit und deutschem Ehrgeiz. Mündend in kleinen bis größeren Verzweiflungsattacken, mehreren Team-, Struktur- und Einsatzortumstellungen sowie einer, der deutschen Mentalität teils ungewohnten Flexibilität erfolgte dank vieler fleißiger Helfer die Umsetzung unseres Projektes schließlich in Ciudad del Presidente Franco.

 

Die Einsatzverlegung von der Hauptstadt Asunción in die 500 km entfernte 239.000 Einwohner beherbergende Stadt Ciudad del Este mit vorwiegendindigener Bevölkerung erfolgte genau 3 Wochen vor Einsatzbeginn. Entsprechend der Internetrecherchen aller Teammitglieder und der Organisatoren sorgte die komplette Projektumstellung nach Ciudad del Este respektive Ciudad del Presidente el Franco für Turbulenzen. Als bekanntestes Schmugglerparadies Südamerikas gepriesen, regte diese kurzfristige Veränderung nicht nur die Phantasie und Befindlichkeiten der Teilnehmer, sondern auch das Organisationsvermögen unserer zum Glück im Vorfeld engagierten Projektmanagerin, die auf eigene Kosten, mit viel Fleiß und Liebe und der Kenntnisse wirtschaftlicher Brisanzen jegliche Wogen und Orkane glättete. Die unermüdlichen monatelangen Nachfragen der Gegebenheiten vor Ort, führten tatsächlich ganze 14 Tage vor Projektbeginn zu der Information, dass ein Anästhesist mit vollständigem Equipment inkl. Anästhesiepfleger vor Ort nötig sei. Nach Umschiffen aller bisheriger Klippen war auch diese Herausforderung gelöst.

 

Dank der schnellen professionellen Unterstützung und Flexibilität unseres betreuenden Reisebüros in Hannover konnte unser Team trotz der ständigen Änderungen schließlich fast gemeinsamzeitgleich in Asunción am 04.04.2010 anreisen. Und nicht nur das: Es konnte im Vorfeld mit der Lufthansa und TAM ausgehandelt werden, dass jeder Teilnehmer mit 2 x 23 kg Reisegepäck kostenlos reisen durfte. Dank der Hilfe unserer fleißigen Teammitglieder durch hartnäckige, aufopferungsvolle Beschaffung aller notwendigen OP- und Anästhesie-Materialien, entweder aufgrund von Privatspenden oder Spenden des Helios Klinikums Emil von Behring in Berlin und der Universitätsklinik Innsbruck, konnten diese sorglos in Asuncion eingeführt werden. Die dort, durch unseren spanisch sprachigen und die 11 Monate geduldig betreute Kommunikation führenden Kollegen, Dr. Horst Schuster, organisierte Abholung durch das paraguayanische Gesundheitsministerium, führte zur problemlosen Passage des südamerikanischen Zolls.

 

Nach Bezug unseres Hotels in der Hauptstadt fand vor Antritt unserer 5-stündigen Autofahrt nach Ciudad del Presidente Franco ein gemeinsamer Abend in entspanntem südamerikanischem Ambiente mit Besprechung der Projektkoordinaten aller beteiligten paraguayanischen und deutschen Kollegen statt. Am Morgen des 05.04.2010 brachen wir auf. Nach der strapaziösen Fahrt durch das Landesinnere erwarteten uns auf dem Gelände des einfachen barackenartigen Krankenhauses immerhin 101 Patienten in Begleitung ihrer kompletten Familien. Darunter befanden sich viele Angehörige der indigenen Bevölkerung aus den Tribes in den angrenzenden Regenwaldregionen, die in der Regel nicht krankenversichert sind und somit große Hoffnungen in unser Projekt setzten. Für uns gab es kaum ein Durchkommen, dadie auf uns wartenden Menschenmengen das gesamte Krankenhausgelände übervölkerten. Sie warteten mindestens so lange wie unsere Anreise aus Deutschland dauerte, gem. der Auskunft unseres 24 Stunden „Allzeit- paraten“,hilfsbereiten zur Seite stehenden Dr. Carlos Wattiez, dem dortigen Chefarzt der Chirurgie. Durch die seit Tagen auf dem Krankenhausgelände auf uns wartenden Menschenmengen, wurde unser Einsatz von der dortigen Bevölkerung sehr positiv wahrgenommen, so dass auch die paraguayanische Regierung unseren Einsatz mit unterstützte.

 

Bei erster Lageinspektion fanden wir überraschender Weise einen funktionsfähigen Operationssaal in einer kleinen Betonbaracke mit einem simplen Narkosegerät, welches zumindest unsere NOMA-erfahrenen Anästhesie-Kollegener freute. Dieses Gerät hatte die Zentralregierung eigens für unseren Einsatz in diesem Provinzkrankenhaus bereit gestellt. Gleich nach unserer Ankunft entschlossen wir uns, trotz aller Müdigkeit, mit dem gesamten Team, in unserer ersten Nachtschicht die ersten 75 Patienten zu triagieren, zu Foto dokumentieren und einen Vorab- OP- und Physiotherapieplan der uns vorgestellten Patienten zu erstellen. So konnten wir morgens am Folgetag direkt im OP starten und ein Teil des Teams die verbleibenden 26 Patienten begutachten. An 2 Tagen berichteten TV- Kamerateams über unseren Einsatz. Der stellvertretende Gesundheitsminister besuchte uns vor Ort und verbrachte 2 Abende mit uns nach langen OP-Tagen. Auch bei den Printmedien erfreute sich unser Erscheinen größter Aufmerksamkeit. Erfreuliches Resultat dieser Öffentlichkeitsarbeit war, dass das neue Narkosegerät in den Besitz des Krankenhauses übergehen durfte.Wir operierten an 6 OP- Tagen 36 Patienten mit Brandwunden mit schwersten Verbrennungskontrakturen, Anomalienwie Fehlbildungen der Nase und Ohren, Lippenspalten, Handanomalien und Verbrennungskontrakturen der Hand. Zudem wurden die Patienten selbst und ihre Angehörigen dem sich anschliessenden Physiotherapiekonzept zugänglich gemacht. Weitere Kontrakturpatienten wurden ebenfalls physiotherapeutisch instruiert. Durch die aktive Medienpräsenz wurde durch die Regierung eine Genehmigung erteilt, dass einmal im Monat aus dem Universitätskrankenhaus Asuncion der von uns angelernte Assistenzarzt in das Krankenhaus unseres Einsatzortesnach Ciudad del Presidente el Franco fahren darf, um dort die Nachsorge bei unseren Patienten vorzunehmen und kleine eigene plastisch- chirurgische Operationen durchzuführen. Dank moderner Medien wie dem Internet konnten wir unsere postoperativen Langzeitergebnisse auch nach unserer Rückkehr mitverfolgen und entsprechende fachliche Ratschläge der Weiterbehandlung vor Ort weiterleiten, um die gemeinsame Zusammenarbeit zu optimieren zu Gunsten unserer Patienten und zukünftiger Projekte vor Ort. Durch den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten war dieser Ersteinsatz ein voller Erfolg. Die Mühen und die große emotionale Belastung wurden mit der Herzlichkeit der paraguayanischen Bevölkerung belohnt. Wir erlebten unvergessliche Momente der Freude, Rührung und Dankbarkeit. Eine Erfahrung, die wir um Nichts in der Welt missen möchten und auf unseren inneren Festplatten abspeichern und in unseren Herzen tragen werden.

 

Als erfreuliches und zugleich zur Fortsetzun ermutigendes Feedback erhielten wir wenige Wochen später folgende e-mail des Chefarztes für Chirurgie, Dr. Carlos Wattiez, aus Ciudad del Presidente el Franco:

 

 

 

Ich habe überhaupt kein Problem damit, Euch all meine Unterstützung, Zuwendung und Arbeitskraft für das Interplast-Projekt 2011 zuzusagen. Für unsere Gemeinde, die Stadt „Ciudad del Presidente Manuel Franco“ ist es ein Privileg und eine große Ehre, dass Ihr erneut daran interessiert seid, diesenanerkennenswerten und spürbaren Dienst anzubieten. Die Leute, denen geholfen werden konnte, sind mit den Resultaten sehr zufrieden, obwohl es einige kleine und moderate Komplikationenbei 3 von 36 operierten Patienten gab.
Die Liste der Patienten, die wir weiter betreuen und die durch das Interplast-Team gesehen und beurteilt wurden, beläuft sich auf 101 Patienten; aber diejenigen, die sich angemeldet hatten, waren etwa 120 – die genaue Anzahl erinnere ich nicht mehr.
Bis zum heutigen Tage (17.08.2010) erhalten wir Anrufe von Personen, die uns fragen, wann Ihr wieder kommt; und ich beruhige sie und sage ihnen „im nächsten Jahr“. Wenn wir Euch diesmal einen Monat im Vorfeld hier ankuündigen, dann schätze ich, werden wohl an die 1000 Leute kommen; sie würden kommen, weil dies die erste Erfahrung dieser Art in der gesamten Provinz des „Palo Alto“ war, wo es ungefähr 800.000 Einwohner gibt.
Ich glaube, März/April sind weniger heiße Monate – vor „unserem“ Winter. Aber bestimmen Sie einfach den Monat und die möglichen Einsatzdaten und wir bereiten dann hierdie Kampagne für das Projekt 2011 vor. Was ich bereits Frau Dr. Kleinschmidt gesagt habe, wäre, dass wir neben der Behandlung von Verbrennungsfolgen auch einen extremen Bedarf an der Behandlung von Lippen- und Gaumen-Spalten haben.
Und logischerweise würden wir uns extrem freuen, wenn Sie uns wieder – wie beim letzten Mal – mit Ihrer Mannschaft und mit Material für unser Krankenhaus (ein sog. „Klasse-3-Krankenhaus“ in einem Provinz-Distrikt) unterstützen könnten. Alles, was Sie uns hier gelassen haben, von Naht- Materialien über Drainage-Schläuche, Blasenkatheter, Magen-Sonden, sterile Einmal-Tücher, Kittel usw. ist bis zum heutigen Tage von großem Wert für uns.
Dank der damaligen Einladung Ihres Interplastteams hat uns das hiesige Gesundheitsministerium in Asunción ein komplettes Anästhesie-Gerät mit allendazugehörigen Monitoren zur Verfügung gestellt und überlassen.
Ich stehe mit allem, was ich für Sie und für das Interplast-Projekt tun kann, zu Ihrer Verfügung.
Für mich ist es ein Privileg und eine große Ehre,

 

Carlos Raúl Wattiez.